FACHVORTRAG INSULIN

Ein Fachvortrag von Dr. med. Löwer zum Thema “Aktuelle Übersicht über Insuline – Moderne Insulintherapie”, den wir hier in modifizierter Form wiedergeben.

Aktuelle Übersicht über Insuline – Moderne Insulintherapie

Biographie / Historie

Insulin ist das einzige blutzuckersenkende Hormon im menschlichen Organismus. Zielorgane sind Leber, Muskulatur, Fettgewebe, Gehirn und Niere. Nach seiner Entdeckung im Jahre 1921 durch Banting und Best, wird Insulin bereits 1923 kommerziell hergestellt. Ursprünglich wurde Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Schwein und Rind hergestellt. Inzwischen wird es vorwiegend gentechnologisch hergestellt. Human-Insulin ist ein zweikettiges Oligopetid mit einer je nach Herkunft bzw. Synthese unterschiedlichen Ordnung von 21 bzw. 30 Aminosäuren. Die Herstellung erfolgt entweder durch Austausch einer Aminosäure aus Schweineinsulin, oder gentechnisch mittels Hefen oder E.coli-Bakterien.

Nach Pharmakokinetik werden kurzwirksame Insuline (auch Normalregulär- oder Altinsulin) bzw. kurzwirksame Insulinanaloga von mittellangwirksamen Insulinen (Basalinsulin), langwirksamen Insulinanaloga wie humane und analoge Mischinsuline unterschieden.

Insuline sind normalerweise aus Sechsermolekülen (Hexameren) zusammengesetzt, die dann nach Injektion in Di- und Monomere gespalten werden. Durch die lockere Struktur der analogen Hexamere erfolgt ein rascherer Zerfall, was eine erheblichere Verringerung des Spritz-Ess-Abstandes möglich macht. Die Normalinsuline unterscheiden sich also lediglich durch den Herstellungsprozess, nicht aber durch Pharmakokinetik und Dynamik. Ebenso unterscheiden sich die drei verfügbaren, kurzwirksamen Analoga lediglich durch die Aminosäurezusammensetzung, aber nicht bezüglich Pharmakokinetik und Dynamik.

Insulinarten

Die langwirksamen Analoga Glargin, Detemir und Degludec können auf Grund veränderter Molekülstruktur in saurem PH klar gelöst werden, wodurch das Mischen entfällt. Erst nach Injektion kommt es durch Ausfällung zu einem Depoteffekt. Die kürzeste Halbwertszeit hat Insulin Detemir, das endogen an Albumin bindet und mit 16 – 20 Stunden Wirkdauer ein- bis zweimal täglich injiziert werden muss. Insulin Glargin muss mit 20 – 24 Stunden Wirkdauer in aller Regel nur einmal gegeben werden. Inzwischen existiert das erste ultralangwirksame Insulin-Analogon Degludec – es hat eine Halbwertszeit von 25 bzw. Wirkdauer von ca. 42 Stunden. Diese soll vor allem nächtliche Hyperglykämien („Überzucker“) vermeiden.

Zinkverzögerte Intermediärinsuline und Surfeninsuline sind schon lange nicht mehr auf dem deutschen Markt erhältlich, jedoch wird der Therapieansatz der Entwicklung eines Insulin-Aerosols durch Bindung an Kügelchen aus Fumarsäure weiter verfolgt.

Durch Mischung von Normalinsulin bzw. Analogon mit Hyaluronidase lässt sich eine deutliche Wirkungsbeschleunigung erzielen bei geringerer Hypoglykämierate.

Weitere Therapien bzw. Entwicklungsansätze beziehen sich darauf Insulin oral, buccal (auf die Wangeschleimhaut) oder nasal zu applizieren. Keines dieser Verfahren ist jedoch schon ausgereift.

Insulintherapien

Wir unterscheiden je nach Diabetesform die konventionelle von der intensivierten konventionellen Therapie und die basalorientierte von der suplementären Insulintherapie. Der physiologische Insulinbedarf bei Gesunden beträgt in Fastenzeiten ca. 1 Einheit/Stunde. Diese konstante basale Insulinsekretion gewährleistet ein Gleichgewicht zwischen Glykogenolyse und Gluconeogenese und damit die Glukosehomeostase. Allerdings steigt der Insulinbedarf in den frühen Morgen- wie Abendstunden mit 1,2- 1,4 Einheiten/Stunde leicht an, liegt dafür zwischen 11.00 und 16.00 bzw 23.00 und 04.00 Uhr mit 0,6-0,8 Einheiten/Stunde leicht niedriger. Stresshormone wie Adrenalin, Cortisol oder Glucagon erhöhen den Bedarf körperlicher Aktivität, eine erhaltene endogene Insulinsekretion vermindern diesen. In aller Regel verbraucht der Körper ca. 1,5 Einheiten für zehn Gramm Kohlenhydrate. Dagegen ist der Insulinbedarf zur Verstoffwechselung von Proteinen und Fetten fast hundertfach niedriger und kann daher vernachlässigt werden. Eine Einheit Insulin senkt die Blutglukose um ca. 30 – 50 mg Prozent. 10 g Kohlenhydrate lassen dagegen die Blutglukosewerte um 40 mg Prozent ansteigen. Neben dem gängigen Behandlungsschemata der Behandlung des Diabetes Typ 2 (DM2) mit oralen Antidiabetika (OAD) bietet sich ein frühzeitiger Einstieg in die Insulintherapie an (BOT = basalunterstützte orale Therapie). Hierzu werden geringe Einheiten eines in der Regel langwirksamen Insulinanalogons zum Abend ergänzend zu den oralen Antidiabetika gegeben. Ziel ist eine normnahe Nüchternzuckereinstellung unter 100mg Prozent. Alternativ kann bei fortbestehend erhöhtem HbA1c größer 7% Mahlzeiteninsulin und wenn man z.B. kurzwirksame Analoga) zu einzelnen Problemmahlzeiten wie Frühstück oder Hauptmahlzeit bzw. zu allen Mahlzeiten gegeben werden.

Beim Typ 1-Diabetes wird in der Regel beim Mahlzeiteninsulin nach folgendem Schema gespritzt:
Morgens, mittags, abends 2,5 – 1,0 – 1,5 Einheiten pro Broteinheit kombiniert mit einer 40er oder 50er-Korrekturregel je nach Blutzuckerwert.

Die empfohlenen Spritz-Ess-Abstände richten sich nach der applizierten Insulinart sowie vor dem Spritzen gemessenen Zuckerspiegel. Bei präbrandialen Blutzuckerwerten im Normalbereich dürfen Patienten mit schnellwirksamen Insulinanaloga sofort nach dem Spritzen essen, während Normalinsulinpatienten 10 – 15 Minuten warten sollten. Im Laufe der Zeit wird dann eine Anpassung der individuellen BE-Faktoren angewandt. Eine Anpassung muss vorgenommen werden, wenn es zu einer bestimmten Tageszeit wiederholt zu abweichenden Blutzuckerwerten gekommen ist.

Spritztechnik

Das basale Insulin wird je nach Insulinart einmal zur Nacht bzw. zweimal morgens bzw. mittags und abends vor dem Zubettgehen oder in Ausnahmefällen viermal (morgens, mittags, abends und spät) gegeben.
Insulin Lantus (Glargin) kann in aller Regel einmal morgens oder abends gegeben werden. Das Insulin Levemir (Detemir) muss meist zweimal täglich gegeben werden.

Der Injektionsort sollte für brandiale Insuline am Bauch im Uhrzeigersinn an mindestens acht Stellen erfolgen, damit es nicht zu Lipohypertrophien (Vermehrung von Unterhautfettgewebe) mit Resorbtions- und Wirkschwankungen kommen kann.
Das Verzögerungsinsulin sollte in der Regel am Oberschenkel an wechselnden Stellen appliziert werden. Je nach Dicke der subkutanen Hautfettschicht und der Nadellänge sollte schräg bzw. senkrecht eingestochen werden, damit es nicht versehentlich zu einer intramuskulären oder intravasalen Injektion kommen kann.

CSII – Pumpentherapie

Eine Insulinpumpentherapie erlaubt eine bessere tageszeitlich verteilte Substitution. Diese hat ihre Anfänge um 1980, seit 1981 auch mit der ersten deutschen Insulinpumpe.

Durch eine zunehmende Verbesserung der Technik in den letzten 20 Jahren mit verbesserter mechanischer Zuverlässigkeit und ausgefeilterer Elektronik sowie der Weiterentwicklung von Kathetermaterialien wurden die Anfangsprobleme bezüglich technischer Defekte und Katheterverschlüssen vermieden. In der Regel werden die Insulinpumpen mit human- bzw. schnellwirksamen Insulinanaloga bestückt. Die Pumpe wird mit stündlichen, teilweise halbstündlichen Basalraten frei programmiert und die brandiale Insulingabe individuell abgegeben. Gründe für eine CSII = kontinuierliche subkutane Insulininjektion können sein: frühmorgendlicher Blutzuckanstieg, Schwangerschaft, niedriger Insulinbedarf, gehäufte Hypoglykämien, Neuropathie, diabetisches Fußsyndrom oder Patientenwunsch.
Voraussetzung für eine CSII: gute Kenntnisse bezüglich der ICT-Pumpenakzeptanz und gute Blutzuckerdokumentation.

Sonstiges/ Eigenschaften/Formen

Derzeit in Entwicklung ist das bionische Pankreas- bzw. Closedloopsystem (CL), welches im Gegensatz zum herkömmlichen Insulinpumpensystem Openloop (OL) ein Smartphone mit angeschlossenem kontinuierlichem Glukosemonitor und zwei Pumpen für Insulin und Glucagon für die Blutzuckereinstellung beeinhaltet. Insbesondere soll auch die Lebenserwartung bei Typ1-Diabetikern mit Pumpe angesichts des ermäßigten Risikos für Spät- und Folgeerkrankungen deutlich länger liegen.

Zur klassischen Einteilung des Diabetes mellitus in den jugendlichen Typ1- bzw. Autoimmun-Diabetes und den Typ2-Diabetes des Patienten mit fortgeschrittenem Alter werden zusätzlich weitere Diabetesformen unterschieden:

– Der pankreoprive Typ3-Diabetes bei Basalzelldestruktion als Folge des absoluten Insulinmangels bei z.B. pankreasoperierten Patienten oder Patienten nach Pankreatitis.
– Der monogene Diabetestyp mody. Hier produzieren die Betazellen zwar noch Insulin, diese reagieren jedoch nicht mehr auf steigende Blutzuckerspiegel.
– Sekundäre Diabetes (Typ III)
– lada = Latent autoimmune diabetes of adults. Hierbei handelt es sich um Typ2-Diabetiker, die Pankreasantikörper aufweisen, so dass in vielen Fällen von einem sogenannten Hybrid-Diabetes als Kombination der Merkmale von Typ 1 und 2-Diabetesformen ausgegangen werden kann.

Als Besonderheiten bezüglich Insulinwirkung ist abschließend folgendes zu nennen: Effektinsulin ist antiflamatorisch (entzündungshemmend), antioxitativ (Schutz vor oxidativem Stress/Schädigung zahlreicher Zellstrukturen), antithrombotisch und antiateratogenetisch (Schutz vor Fehlbildungen i, Organismus) wirksam. Der Bogen reicht von der bekannten blutzuckersenkenden Wirkung über eine Beeinflussung von Entzündungsvorgängen, der Beschleunigung der Wundheilung, Förderung der Angiogenese sowie zentralsättigende Effekte bis zur möglichen Verbesserung kognitiver Fähigkeiten.

Gegebenenfalls ist der Anwendung als Therapeutikum bei Morbus Alzheimer als Ausblick zu sehen.

Quellen: Ärztezeitung, Medical Tribune, Hausarzt, Allgemeinmedizin, Kursbuch Diabetologie